„Die Geburt kann sehr weh tun. Aber wenn das Baby erstmal da ist, hast du das alles vergessen.“ Dieser Satz beruhigt viele werdende Mütter, die mit ihrem ersten Kind schwanger sind. Für manche Frauen stimmt er tatsächlich – für andere wiederum nicht. Studien zufolge erleben rund 30 Prozent der Mütter die Geburt ihres Kindes als schwierig und belastend. Und selten treffen sie in ihrer näheren Umgebung auf offene Ohren. An diese Mütter wendet sich das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt, ein Projekt der Bundeselterninitiative Mother Hood e. V. in Kooperation mit der International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine (ISPPM e. V.). MENSCHENSKINDER hat mit Katharina Desery gesprochen. Sie ist Vorständin bei Mother Hood und eine der Gründerinnen des Hilfetelefons.
Frau Desery, woran merkt eine Frau, dass sie eine belastende Geburt erlebt hat?
Katharina Desery (KD): Oft ist es so, dass die Frauen Flashbacks haben oder Schlafstörungen. Sie müssen weinen, wenn sie an die Geburt denken oder wenn sie darüber sprechen. Sie spüren eine unglaubliche Traurigkeit. Bei manchen ist es auch so, dass sie Schwierigkeiten haben, mit dem Kind in guten Kontakt zu treten und eine stabile Bindung aufzubauen. Es gibt auch partnerschaftliche Probleme. Oder die Frau merkt: Ich kann meinen Alltag vielleicht bewältigen, aber ich muss immer wieder an diese schrecklichen Stunden oder sogar Tage denken. Diese Gefühle können relativ kurz nach einer Geburt auftreten. Aber es gibt auch Frauen, die das erst nach ein paar Wochen oder Monaten spüren.
Was genau macht eine Geburt belastend?
KD: Es ist oft so, dass die Frauen sich übergangen und hilflos fühlen. Sie wurden nicht in Entscheidungen in Bezug auf medizinische Eingriffe einbezogen. Es ist auch in großer großer Eile möglich, mit den Frauen kurz darüber zu sprechen, warum jetzt ein bestimmter Eingriff nötig ist. Und genau das fehlt oft. Frauen müssen medizinische Eingriffe über sich ergehen lassen, die ihnen nicht nachvollziehbar erscheinen. Das kann die Einleitung einer Geburt sein, wobei sehr schnell heftige Wehen auftreten. Andere Beispiele sind ein Dammschnitt oder ein unerwarteter Kaiserschnitt. Oder wenn Frauen spüren: „Hier stimmt etwas nicht. Ich habe starke Schmerzen, aber das Personal geht nicht darauf ein, tut das ab.“ Viele Frauen erleben es außerdem als traumatisch, wenn sie über weite Teile der Geburt allein gelassen werden. Gewalt in der Geburtshilfe ist etwas, das zahlreiche Mütter erleben müssen und was nachhaltig belastet. Dazu gehört nach unserer Auffassung das lange Alleinlassen, aber auch das Festhalten oder Festschnallen der Mutter, Beschimpfen, Anschreien oder Beleidigen – um nur einige Beispiele zu nennen.
Hat eine belastende Geburt auch Auswirkungen auf die Kinder?
KD: Ja. Das sogenannte Schreibabysyndrom geht häufig mit einer belastenden Geburtserfahrung einher. Oder sehr unruhige Kinder, sehr schreckhafte Kinder oder Kinder, die extrem viel Körperkontakt brauchen, haben ebenfalls oft eine schwierige Geburt hinter sich.
Was brauchen Frauen, um diese Erfahrung zu verarbeiten?
KD: Viele Frauen berichten davon, dass sie das Gefühl hatten: „Ich habe es nicht geschafft, ich habe bei der Geburt versagt.“ Das hat Auswirkungen auf ihren Umgang mit dem Kind, dass sie sich nicht selbstsicher genug fühlen, um sich um das Baby zu kümmern. Deswegen tut es gut, mit anderen Menschen zu sprechen, die sie unterstützen und ihnen sagen: „Das ist nicht deine Schuld.“ Eine unserer wichtigsten Botschaften ist: Frauen nach einer belastenden Geburt kann geholfen werden kann. Theoretisch gibt es sehr viele Anlaufstellen, an die sie die Hebamme im Wochenbett oder die Gynäkologin verweisen kann: Schwangerenberatungsstellen oder Familienberatungsstellen, die machen in dem Bereich eine sehr gute Arbeit. Oder Psychotherapie, wenn es ganz arg wird. Aber das müssen die Frauen erstmal wissen.
Was müsste sich im Gesundheitswesen verändern, damit Frauen weniger belastende Geburten erleben?
KD: Zunächst einmal müsste unsere Gesellschaft insgesamt die Bedeutung der Geburt anerkennen. Es ist wichtig zu wissen, welche negativen Folgen es haben kann, wenn es Mutter und Kind bei der Geburt nicht gut geht. Grundsätzlich bringen Schwangere viele Kompetenzen mit. Sie haben ein sehr gutes Gespür dafür, was sie während der Geburt brauchen, oder wenn etwas nicht stimmt. Natürlich ist einer der wichtigsten Punkte, dass wir genügend Personal benötigen, damit jede Geburt von einer Hebamme begleitet wird. Sehr hilfreich wäre es darüber hinaus, frisch gebackene Mütter bereits in den Kliniken über Hilfsangebote zu informieren.
Das Hilfetelefon schwierige Geburt
Das Hilfetelefon ist unter der Nummer 0228 9295 9970 erreichbar – mittwochs von 12 bis 14 Uhr und donnerstags von 19 bis 21 Uhr. Die Beraterinnen sind ausgebildete Therapeutinnen oder Sexualpädagoginnen. Gemeinsam mit der Anruferin überlegen sie nach dem Erstgespräch, ob es ausreicht oder ob weiterer Gesprächs- und gegebenenfalls Therapiebedarf nötig ist. Die Beraterin informiert, welche Therapieformen in Frage kommen können und gibt Tipps zur Suche nach weiteren Unterstützungsangeboten am Wohnort der Frau.