Adobe Stock / Konstantin Aksenov
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Warum Eltern ihr Kind niemals schütteln sollten

Und was sie tun können, wenn ihr Leben mit Baby sehr anstrengend ist
6. April 2021, Nicole Vergin

Eine Situation, die viele junge Eltern kennen: Das Baby hat gerade getrunken und eine frische Windel bekommen – und es schreit. Die Mutter hält ihr Kind liebevoll, singt ihm etwas vor. Es weint weiterhin lautstark. Der Vater setzt sich mit dem Säugling in einen abgedunkelten Raum und summt leise. Aber nichts scheint zu helfen. Das Baby schreit, nun schon über mehrere Stunden. „Wenn ein Kind lange weint und sich nicht beruhigen kann, ist das für viele Eltern der pure Stress“, weiß Ute Kalvelis von der Schreikindambulanz des Kinderschutzbundes Essen. Sie berät Mütter und Väter, bei denen belastendes Schreien ihrer Kinder, dauernde Unruhe sowie häufige Ess- und Schlafstörungen zum Alltag gehören.

Schütteln führt zu einer Behinderungen oder zum Tod

„Eltern erzählen mir, dass sie sich in solchen Schrei-Phasen hilflos und überfordert fühlen“, sagt die systemische Familientherapeutin. „Manche wollen dann nur noch, dass das Schreien aufhört.“ In einer solchen Ausnahmesituation könne es vorkommen, dass eine Mutter oder ein Vater die Beherrschung verliert und das Kind aus Verzweiflung und Wut unkontrolliert schüttelt. Eine Kurzschluss-Reaktion, die für das Baby zu lebenslangen Schädigungen oder sogar zum Tod führen kann. „Beim heftigen Schütteln wird der Kopf heftig vor- und zurückgeworfen“, erklärt Ute Kalvelis von der Schreikindambulanz Essen. Dabei könne es zu schweren Verletzungen im Gehirn kommen. Fachleute sprechen dabei vom Schütteltrauma, das zu lebenslangen Behinderungen führen kann. Nach Angaben des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen sterben 10 bis 30 Prozent der Babys mit Schütteltrauma sogar.

Ein Plan für den Notfall

Ute Kalvelis rät Eltern in einer extremen Stress-Situation mit ihrem Kind zu einem Notfallplan: das Baby sicher ablegen, aus dem Raum gehen und sich beruhigen. Sie empfiehlt außerdem, um Unterstützung von außen zu bitten, wenn die Nerven komplett blank liegen. Helfen könnten dann zum Beispiel der Partner oder die Partnerin, eine Freundin, ein Verwandter oder ein Nachbar.

„Manche Eltern haben das Gefühl, dass ihr Kind sie nicht mag oder ablehnt, wenn es lange schreit“, erklärt Ute Kalvelis. In der Beratung erklärt sie den Vätern und Müttern, dass dies ein Trugschluss ist, und informiert sie über mögliche Gründe für das Schreien. So lernen die Eltern, ihr Kind besser zu verstehen.

Wie kommen Eltern durch die anstrengende Zeit?

Häufiges und ausdauerndes Weinen ist ein möglicher Risikofaktor für das Schütteln eines Kindes. Aber auch andere Belastungen könnten dazu führen, dass Eltern die Kontrolle verlieren. Dazu gehören etwa Probleme in der Partnerschaft, fehlende Unterstützung bei Alleinerziehenden oder traumatische Erlebnisse aus der eigenen Kindheit. „Mit ist es wichtig, den Familien dabei zu helfen, ihre Belastungen grundsätzlich zu reduzieren“, erklärt Ute Kalvelis von der Essener Schreikindambulanz. „Gemeinsam überlegen wir, wie die Eltern gut durch die häufig anstrengenden ersten Monate kommen können.“

Dabei sei ein Grundsatz ganz wichtig: „Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn Mütter oder Väter Hilfe von außen suchen – ganz im Gegenteil“, betont die Beraterin.

Nähere Informationen über das Schütteltrauma finden Sie auf der Seite www.elternsein.info des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen. Dort ist auch ein empfehlenswerter Film dazu zu sehen. Außerdem stehen auf der Seite zahlreiche Tipps, was ein Baby braucht, um sich zu beruhigen.

Wenn Eltern sich stark belastet fühlen, sollten sie sich Unterstützung suchen, zum Beispiel in einer Familienberatungsstelle oder der Kinderarztpraxis. Auch der Kinderschutzbund bietet in vielen Städten Beratung und Hilfe an.

Sie können sich auch hier beraten lassen:

Schnelle telefonische Unterstützung bietet das Elterntelefon der „Nummer gegen Kummer“ unter 0800 111 0 550 (montags bis freitags, 9 bis 17 Uhr, dienstags und donnerstags bis 19 Uhr).