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Wenn das Baby nicht aufhört zu weinen

6. August 2019,

„Mir war das einfach alles zu viel!“ Nathalie Weber* erinnert sich noch gut an die erste Zeit mit ihrer Tochter Greta. „Das Stillen war schwierig, die Kleine hat kaum geschlafen und unheimlich viel geweint“, erzählt die heute 33-Jährige. „Drei Stunden Schreien am Abend waren damals ganz normal“, ergänzt ihr Mann Sven. Er war genauso wie seine Frau in diesen ersten Wochen vollkommen übermüdet. „Aber ich dachte immer, dass andere das ja auch schaffen, und habe mir unheimlich viel Druck gemacht“, sagt Nathalie Weber.

Die Hebamme Birgit Przyrembel kennt diesen Anspruch vieler junger Eltern an sich selbst. Die Duisburgerin betreut seit über 30 Jahren Familien vor und nach der Geburt eines Kindes. „In Zeiten der Großfamilie waren immer mehrere Menschen für ein Baby zuständig. Einen Säugling allein zu versorgen kann Eltern schnell an ihre Grenzen bringen. Viele fühlen sich dann überfordert, aber kaum jemand spricht darüber“, so ihre Erfahrung. Gesellschaftlich vermittelt werde vielmehr das Bild, dass ein Baby pures Glück bedeutet. „Wer das dann anders empfindet, hält sich selbst schnell für unfähig.“ Und das betrifft viele junge Eltern, die aber häufig verschämt schweigen. Birgit Przyrembel rät daher, sich gut auf die Geburt vorzubereiten und keine Scheu zu haben, sich frühzeitig Unterstützung zu organisieren.

„In den ersten Wochen mit unserer Tochter habe ich nicht gut auf mich selbst geachtet“, meint Nathalie Weber rückblickend. Sie habe etwa vergessen zu essen und sich insgesamt kaum Ruhe gegönnt. Ihr Mann Sven habe vor und nach seiner Arbeit viele Aufgaben zuhause übernommen. Aber auch zu zweit sei das alles kaum zu schaffen gewesen.

Bei Familie Weber war die erste anstrengende Zeit nach etwa drei Monaten vorbei. Damals entschied sich Nathalie Weber, nicht mehr zu stillen, sondern Greta mit der Flasche zu ernähren. „Ich wollte unbedingt stillen, aber es hat bei Greta und mir einfach nicht gut funktioniert und uns sehr angestrengt“, erzählt sie. „Auf die Flasche umzustellen war eine gute Lösung für uns.“ Von da an weinte Greta weniger und schlief besser. Diese Entscheidung nahm bei Familie Weber viel Druck aus der angespannten Situation – auch wenn viele Fachleute sich grundsätzlich dafür aussprechen, Mütter möglichst bei der Lösung der Stillprobleme zu unterstützen.

Kurz darauf fing Nathalie Weber an, mit ihrer Tochter regelmäßig eine private Krabbelgruppe zu besuchen. „Der Austausch mit anderen Müttern hat mir unheimlich gutgetan“, erinnert sie sich. Heute ist Greta drei Jahre alt und längst große Schwester. „Bei Theo, meinem zweiten Kind, habe ich vieles anders gemacht“, sagt Nathalie Weber. Dazu gehört vor allem, sich selbst zu vertrauen: „Ich wusste ja, dass ich das alles grundsätzlich kann.“ Und Nathalie Weber holt sich Hilfe, wenn es schwierig wird. „Greta hat immer noch Probleme mit dem Schlafen, was uns zeitweise sehr anstrengt“, erzählt sie. Um solche familiären Konflikte gut lösen zu können, lässt sich Familie Weber beim Deutschen Kinderschutzbund in ihrer Stadt beraten. Nathalie Weber weiß aus ihrer eigenen Kindheit, dass aus Überforderung schnell Gewalt werden kann – und sucht für sich und ihre Familie einen besseren Weg. „Manchmal braucht man Unterstützung, damit das Fass nicht überläuft“, sagt sie. „Die Beratung hilft uns. Ich finde, das ist nichts, wofür man sich schämen muss.“


* Da die Familienangehörigen lieber anonym bleiben möchten, hat die Redaktion ihre Namen geändert.

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Tipps von Hebamme Birgit Przyrembel

Organisieren Sie sich möglichst schon vor der Geburt Unterstützung. Es ist gut, Großeltern oder Freunde zu bitten, einem in der ersten Zeit mit dem Baby zur Seite zu stehen. Wenn das Kind dann auf der Welt ist, dienen die ersten Tage nur dem Kennenlernen. Im Wochenbett sollte die Mutter ausschließlich für den Säugling da sein. Viel Körperkontakt ist gerade am Anfang enorm wichtig. Es fördert die Bindung und beruhigt ein Kind sehr. Birgit Przyrembel rät daher, nach Möglichkeit zu stillen und Kinder möglichst viel zu tragen – entweder in einem Tragetuch oder einer Babytrage, die von Fachleuten empfohlen wird.
Gerade wenn Kinder besonders viel weinen, brauchen Sie als Eltern Hilfe. Es ist wichtig, dass Sie rechtzeitig wahrnehmen, wenn Sie mit ihren Kräften am Ende sind. Überforderung kann im schlimmsten Fall auch in Gewalt gegen Kinder münden. Wenn Sie merken, dass ihre Geduld zuneige geht, sollten Sie möglichst schnell jemanden anrufen, der sich um den Säugling kümmert. Kinder brauchen dann liebevolle Zuwendung und Sie Zeit und Raum, um ihren Stress abzubauen und sich wieder entspannter dem Kind widmen zu können.
Babys sind für viele junge Eltern zunächst kleine Aliens, völlig unbekannte Wesen. Da hilft es, sich mit anderen auszutauschen. Erste Ansprechpartnerin ist im besten Fall Ihre Hebamme, die Sie nach der Geburt betreut. Aber auch der Kontakt zu anderen Müttern und Vätern ist enorm wichtig, um Erfahrungen zu teilen und sich gegenseitig weiterzuhelfen – zum Beispiel in Stillgruppen oder Elterncafés. In belastenden Phasen kann professionelle Unterstützung helfen, etwa beim Kinderarzt oder in einer Schreikindambulanz.