Geschwisterliebe oder warum ich schon wieder die „Eiskönigin“ ertrage

Aus dem Leben einer kleinen Schwester
4. April 2022, Johanna L. (22 J.)

Von „Benjamin Blümchen“ in Dauerschleife über „Hilfe, ich hab‘ das Internet gelöscht!“ bis hin zum lautstarken Teenieterror aus der Nachbarswohnung – Familien halten so einige Knaller bereit. Mal lustig, mal herzzerreißend, mal total chaotisch oder Honigkuchenpferd-glücklich – das Best-of des alltäglichen Familienwahnsinns in unterschiedlichen Perspektiven gibt es hier in der neuen MENSCHENSKINDER!-Kolumne!

„Und welchen Film wollen wir schauen?“, frage ich durch eine Handvoll Chips, während ich auf dem Fernseher meiner Schwester durch die Auswahl an Filmen scrolle. Vanessa schiebt ihren Kopf um die Ecke und strahlt mich an. „Ich hätt‘ mal wieder Lust auf ‚Die Eiskönigin‘!“ Als sie mein wenig begeistertes Augenrollen sieht, fügt sie noch ein flehendes „Bitte…“ hinzu. Ich seufze. „Wirklich? Schon wieder?“ Vanessa nickt. Obwohl wir beide diesen Film mitsprechen können und sie immer wieder die Songs in der KITA – ihrer Arbeitsstelle – hört, kann meine Schwester offensichtlich nicht genug von dem Kinderstreifen bekommen. Mein Limit war schon nach dem dritten Mal erreicht. Aber da ich das Rückgrat eines Gummibärchens besitze, füge ich mich schließlich – nicht ohne Protest – Vanessas Willen und schon bald fliegen animierte Schneeflocken über den Bildschirm.

Okay, an dieser Stelle ein etwas peinliches Geständnis meinerseits: Mein Unwille, „Die Eiskönigin“ zu schauen, kommt nicht allein von den ständigen Wiederholungen. Ich meide den Film ebenfalls, weil ich dabei immer weine. An dieser lasse ich mal Zeit für ungläubiges Gelächter. Doch es stimmt. Allerdings weine ich auch nur in den ersten Minuten. Besonders, wenn die beiden Schwestern wegen Elsas Fähigkeiten, Schnee und Eis zu zaubern, mehr oder weniger getrennte Wege gehen müssen. Die Emotionen in dieser Szene treffen mich schon heftig – nicht nur als amtliche Mimose, auch als kleine Schwester.

Mit meiner Schwester ist das so eine Sache: Nur 16 Monate nach Vanessas Geburt erblickte auch meine Wenigkeit das Licht der Welt. Ein Leben ohne sie kann ich mir also gar nicht vorstellen. Manchmal finde ich das lästig, denn als Nesthäkchen musste ich einiges ertragen: kitschige Arzt-Serien, bei denen ich heimlich mitfieberte, Haare im Staubsauger, abgelegte Schulbücher und Kleidung, dudelnde Boyband-Musik, Gezanke um Legosteine und den letzten Pfannkuchen, kaum Kinderfotos nur von mir allein, ewige Schreiduelle in unseren Teenie-Jahren, von allen nur „Vannis kleine Schwester“ genannt werden, Kämpfe um den Beifahrersitz…

Es gab Tage, an denen wollte ich Vanessa nur noch auf den Mond schießen und wäre am liebsten Einzelkind geworden. Doch jetzt, wo uns beide mehr als ein paar Türen und ein Flur voneinander trennen, bin ich dankbar für unsere gemeinsame Kindheit – und wenn nur für die Fähigkeit, blitzschnell einen Keks anzulecken, um ihn selbst essen zu dürfen. Aber Spaß beiseite: Ich liebe meine Schwester. Sie war eben immer da und ist es auch heute noch – egal, was ich brauche und wann ich frage. Nur ein Anruf genügt und wenige Minuten später würde Vanessa samt „Kürbiskutsche“, wie wir ihr Auto wegen seiner Cinderella-haften Farbe getauft haben, vor meiner Tür stehen. Und daher ertrage ich auch sang- und klanglos ihre gewohnt schräg mitgegrölte Fassung von „Willst du einen Schneemann bauen?“, während ich mich unbemerkt in einen menschlichen Rasensprenger verwandle.

 

FAMILIENLEBEN ODER FAMILIENBEBEN?

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