Von „Benjamin Blümchen“ in Dauerschleife über „Hilfe, ich hab‘ das Internet gelöscht!“ bis hin zum lautstarken Teenieterror aus der Nachbarswohnung – Familien halten so einige Knaller bereit. Mal lustig, mal herzzerreißend, mal total chaotisch oder Honigkuchenpferd-glücklich – das Best-of des alltäglichen Familienwahnsinns in unterschiedlichen Perspektiven gibt es hier in der neuen MENSCHENSKINDER!-Kolumne!
„Ich will ein schönes Haus, mit einem Garten, mit einer Frau, die mich liebt, und zwei gesunde Kinder,“ sagt meine Freundin Sol. Meine Deutsch-Lehrerin unterbricht sie und will sie gerade ermahnen, nicht mehr zu tuscheln, doch zum Glück ertönt der Gong und erlöst uns in die Pause. Meine Freunde stürmen ausgelassen in den Flur. Nun können sie ihre belanglosen Gespräche über das Ideal einer „perfekten Familie“ weiterführen. Nach einer Weile denke ich, sie hätten das Thema gewechselt, doch dann fragen sie mich: „Und was ist mit dir? Wie stellst du dir deine Familie mit Kindern mal vor?“ Meine Freunde drängen sich näher zu mir. Alle gucken mich so gespannt an, dass ich mich wie „das Schweinchen in der Mitte“ fühle. Wenn ich die für sie richtige Antwort gebe, dann geht das Gespräch weiter. Wenn ich in ihren Augen jedoch etwas Falsches sage, dann bleibe ich das Schweinchen der Gruppe.
Aber klingt die „richtige Antwort“ wirklich so schlecht? Ein nettes, einfaches Leben mit einem Ehepartner, zwei Kindern, einem Golden Retriever und Doppelhaushälfte in einem guten Schulbezirk – wenn es nur so einfach wäre…
Schon lange frage ich mich: Wäre ich mit einem „durchschnittlichen“ Leben zufrieden? Eine Antwort habe ich noch nicht gefunden.
„Sei nicht so schwierig.“
„Warte einfach ab.“
Solche Sätze höre ich oft. Aber ist es wirklich so falsch mehr zu wollen? Ist es wirklich zu früh, um eher über eine Karriere nachzudenken, statt über Kinder?
Aber noch öfter als diese Aussagen höre ich: „Das kannst du deinen Kindern erzählen“ und „Heb es doch für deine Kinder auf.“ Dass ich mal Kinder bekommen werde, ist scheinbar schon entschieden. Aber wenn es um meine Karriere geht, soll ich mir ,,nicht so viel Stress machen“.
Mit der Kommunikation ist das so eine Sache: Erwachsene denken oft, dass man dasselbe erreichen will wie sie. Erst letztens durfte ich mir von meiner Lehrerin anhören: „In deinem Alter wusste ich auch noch nicht, was ich in der Zukunft machen soll, und aus mir ist auch etwas geworden.“ Ich sprach davon, dass ich mir Gedanken um meinen Studiengang machen will und ob sie mich beraten könnte. Doch anstatt wirklich auf mich einzugehen, sprach sie von ihrem Weg als Lehrerin, den ich gar nicht einschlagen will. Ständig projizieren Erwachsene ihre Ziele und Errungenschaften auf uns, egal ob es nun Familie, Lehrer oder andere Bezugspersonen sind.
Doch was, wenn ich mehr will? Was ist, wenn ich etwas ganz anderes will? Und werde ich dann überhaupt glücklich? Die meisten Erwachsenen reden sich ein, dass die „perfekte Familie“ Glück bedeutet. Wie oft scheitert dieser Plan jedoch… Viele haben eine Illusion von einer „perfekten Familie“, aber die „perfekte Familie“ gibt es nun mal nicht. Und wenn Leute ihr Glück durch die Familie gefunden haben, dann zerstören sie es sich oft, indem sie immer mehr wollen – ob es nun andere Partner, Alkohol oder andere Dinge sind. Im Endeffekt kommt es meist zum Betrug innerhalb der Familie.
Wäre es denn bei einer Karriere anders? Irgendwann würde man seine Ziele vielleicht erreichen und mehr wollen. Es liegt nun mal in der Natur des Menschen, nach mehr zu streben. Irgendwann würde man wahrscheinlich trotzdem zu dem Punkt kommen, an dem man merkt, dass eine Karriere allein einen auch nicht glücklich macht. Geld, Erfolg und Macht reichen einfach nicht aus. Also ist dies das tatsächliche Problem?
Ich denke nicht.
Ich denke, das Problem ist, dass Jugendliche zu wenig kennen, und Angst haben, dieselben Fehler wie die Leute vor ihnen zu machen. Deshalb fixieren sie sich dann auf etwas anderes. Ob es falsche Freunde, Drogen, Alkohol oder nur der Wunsch nach Macht und Geld ist. Sollte ich also alles opfern, nur um Macht und eine Karriere zu erreichen? Wird mich das wirklich glücklich machen? Und werden das Gefühl und diese Angst, „aufgedeckt“ zu werden, weggehen? Werde ich aufhören, mich und meine Fähigkeiten infrage zu stellen und mich wie eine Betrügerin zu fühlen? Oder bin ich einfach nur die Maya Angelou dieser Zeit?
Sie war zwar eine der berühmtesten und erfolgreichsten Dichterinnen, Bürgerrechtlerinnen sowie Memoirenschreiberinnen und gewann dutzende von Auszeichnungen und Ehrentitel – trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie diese nicht verdiente und Leute sie als Betrügerin „entlarven“ würden. Doch nur, weil ich noch nicht alles erreicht habe, heißt das ja nicht, dass ich mich nicht trotzdem so fühlen sollte.
Wegen dieser Gedanken, die sich viele Kinder und Jugendliche machen, sollte man Eltern dazu aufrufen, ihre Kinder nicht an ihren Erfolgen zu messen, aber gleichzeitig ohne Druck auf ihre Zukunft und ihr späteres Berufsleben vorzubereiten. Denn aus meiner Erfahrung sind die Lehrer, sobald die Schüler in die 10. Klasse kommen, total auf das spätere Berufsleben fokussiert. Natürlich, viele meiner Freunde gehen auch schon nach der 10. Klasse ab und fangen eine Ausbildung an. Da sind Praktikum und andere Angebote für sie nur hilfreich.
Aber was ist mit denen, die weitermachen und studieren wollen? Für sie wird nicht viel angeboten, aber trotzdem wird viel Druck auf einen ausgeübt, die richtigen Kurse zu wählen. Dadurch wirkt es so, als würde das ganze Leben später davon abhängen. Trotzdem werden nicht wirklich viele Möglichkeiten zum Reinschnuppern in ein Karrierefeld angeboten. Manchmal fühlte ich mich deswegen verzweifelt und zu wenig unterstützt. Kinder ermutigen, ihre eigenen Wünsche und Wege zu verfolgen – so sollte gute Erziehung ablaufen.
Genau das kann man Kindern durch Selbstständigkeit, gute Kommunikation und Vertrauen auch schon im jungen Alter vermitteln. Natürlich ist mir klar, dass es kein Erfolgsrezept für Erziehungsfragen gibt. Aber eine emotionale Bindung und tragfähige, persönliche Beziehungen zwischen Eltern und Kindern aufzubauen, ist schon ein guter Ansatz. Die Eltern-Kind-Beziehung ist dann wandlungsfähig und die Kinder können zu eigenständigen Menschen heranwachsen.
Doch kann man die Zukunftsängste von Kindern und Eltern wirklich abgliedern? Denn, wie George Orwell schrieb: „Die Kreaturen von draußen sehen von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein und wieder von Schwein zu Mensch, aber es war bereits unmöglich zu sagen welches welches war.“
Also wer ist nun wirklich das „Schweinchen in der Mitte“?