Jeden Tag öffnet das Team des Kinderschutzbundes in Recklinghausen ein Fenster für Jungen und Mädchen, die Hilfe brauchen. Ins Haus reinkommen dürfen die Kinder wegen der Corona-Schutzmaßnahmen derzeit nicht. „Aber auch am Fenster können wir das Allernotwendigste regeln, zum Beispiel Arbeitsblätter ausdrucken oder Fragen beantworten“, sagt Linda Martens. Sie koordiniert das Projekt „Lernförderung mit Zukunft“ und unterstützt Kinder in „normaleren“ Zeiten in einem Computerraum beim digitalen Lernen. Jetzt im Lockdown darf sie diese so dringend benötigte Hilfe nicht anbieten. Daher weichen Linda Martens und ihre Kolleginnen auf das Fenster aus, um den Kontakt zu den Kindern zu halten. Außerdem bieten sie Lernhilfe am Telefon an.
Das große Thema vieler Kinder: der Distanzunterricht
Der Distanzunterricht macht vielen Kindern schwer zu schaffen – weil er aus ganz unterschiedlichen Gründen vielerorts nicht gut funktioniert. „Häufig sind in den Familien nicht genügend Computer vorhanden“, erzählt Linda Martens. „Manch einer hat keinen Drucker, um Arbeitsaufgaben auszudrucken. Vielfach ist die Internetverbindung nicht gut genug oder es gibt überhaupt keine“, erklärt die Sozialarbeiterin. „Manche Kinder erzählen auch, dass sie viele Geschwister haben und zu Hause keinen ruhigen Ort finden, um konzentriert für die Schule zu arbeiten.“ Linda Martens befürchtet, dass Kinder, die zu Hause keine guten Lernbedingungen haben, während des Distanzunterrichts weiter zurückfallen und den Anschluss in der Klasse verlieren. Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit, dass Kinder in der Schule am Distanzunterricht teilnehmen, wenn sie zu Hause keine guten Lernbedingungen haben. Bisher nimmt das aber von den Jungen und Mädchen, die Linda Martens betreut, niemand in Anspruch.
Der Lockdown verschärft die Bildungsungerechtigkeit
Krista Körbes ist Landesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes in Nordrhein-Westfalen und sagt: „Auch wenn der derzeitige Lockdown mit den Schließungen der Schulen unabdingbar war, wird er die soziale Ungleichheit und die ungerecht verteilten Bildungschancen weiter verschärfen.“ Daher ist es für den Kinderschutzbund sehr wichtig, dass außerschulische Bildungsangebote möglichst schnell wieder öffnen. Dazu gehört auch das Projekt „Lernförderung mit Zukunft“ in Recklinghausen. „Außerdem brauchen Kinder, Jugendliche und Eltern jetzt eine Vorstellung davon, wie der Unterrichtsalltag in den nächsten Wochen und Monaten aussehen kann“, so Krista Körbes weiter. Denn die Ungewissheit belaste viele Familien. Der Kinderschutzbund in NRW fordert daher klare Konzepte von der Politik für die Wiederaufnahme des Schulbetriebs nach dem Lockdown.
Viele Kinder erreichen sie jetzt im Lockdown nicht
Solange die Türen beim Kinderschutzbund in Recklinghausen geschlossen bleiben müssen, sind Linda Martens und ihre Kolleginnen telefonisch und am Fenster für die Kinder da, die Unterstützung brauchen. Alle hoffen, dass sie nicht mehr allzu lange auf diese Notlösung zurückgreifen müssen. Denn obwohl sie Plakate mit ihren Angeboten in der Umgebung aufgehängt haben, erreichen sie viel weniger Kinder als sonst. „Zu den anderen haben wir gerade überhaupt keinen Kontakt“, sagt Linda Martens. „Ich weiß nicht, wie es ihnen geht – und das macht mir Sorge.“