Antibiotika-Mangel in Deutschland. Der DKSB NRW im Gespräch mit Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer zum Medikamentenmangel. Foto: Adobe Stock/ Photographee.eu
Antibiotika-Mangel in Deutschland. Der DKSB NRW im Gespräch mit Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer zum Medikamentenmangel. Foto: Adobe Stock/ Photographee.eu
 

Antibiotika-Mangel in Deutschland

Kinderschutzbund NRW und BKK-Landesverband NORDWEST in Expertenrunde mit Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer zum Medikamentenmangel
21. Juni 2023,

Lieferengpässe bei Medikamenten wie Antibiotika, Hustensäften oder Blutdruckmitteln sind dramatisch. Seit Monaten beklagen Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker sowie Patientinnen und Patienten die aktuell schwierige Lage. Besonders Kinder und chronisch Kranke sind davon akut betroffen. Über Ursachen und schnelle, effiziente Lösungsansätze diskutierten der Deutsche Kinderschutzbund Landesverband NRW und der BKK-Landesverband NORDWEST gemeinsam mit Mediziner Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller und dem Apothekerverband Nordrhein. Fazit aus der Diskussion: Es muss schnell gehandelt werden!

Das Problem – der Mangel an Arzneimitteln, insbesondere an Antibiotika-Kindersäften – ist in diesem Jahr besonders drastisch, aber nicht neu. „Wir warnen schon seit zehn Jahren vor Arzneimittelengpässen – das ist ungehört verhallt. Und wir sehen auch jetzt kein Ende dieser schlimmen Entwicklung“, beklagte Thomas Preis, der Vorstandsvorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein, die aktuelle Situation. Und nicht nur Antibiotika fehlen: Betablocker, Psychopharmaka, Insulin und Magenmedikamente sind ebenfalls vom Medikamentenmangel betroffen.

Auch Dr. Hubertus Cranz, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller, forderte: „Wir brauchen endlich eine saubere Analyse der Schwachstellen und dann entsprechende Lösungen.“ Doch reden alleine bringe uns nicht weiter, so Prof. Grönemeyer. Und weiter: „Mit den Ergebnissen dieser Diskussion wollen wir einen Handlungsprozess in Gang setzen“. Denn wie die Vergangenheit schon gezeigt habe, ist es zu wenig, nur auf die Politik zu warten.

Fordern entschlossenes Handeln gegen Arzneimittel-Engpässe (v.l.): Dr. Dirk Janssen, Vorstand (BKK-Landesverband NORDWEST), Prof. Dr. Gaby Flösser (Kinderschutzbund NRW), Gastgeber Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, Dr. Hubertus Cranz (Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller) und Apotheker Thomas Preis (Apothekerverband Nordrhein). Foto: GO-getter/Michael Pilz

Kinder und Familien sind wieder Leidtragende
„Mir ist es ein Anliegen, nach vorne zu schauen und gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen“, so Prof. Dietrich Grönemeyer. Besonders, da das derzeitige Problem erneut Kinder und Jugendliche besonders stark treffe. „Die Kinder sind in dieser Krise wieder aus dem Blick geraten“, stellte Prof. Dr. Gaby Flösser, Vorsitzende des Landesverbands NRW des Kinderschutzbundes, fest. „Der Medikamentenmangel lässt Kinder leiden und darunter leiden auch die Familien“, so Prof. Flösser, „das ist ein sich wechselseitig verstärkendes Problem.“

„Es gibt nicht die eine große Lösung“
Die Teilnehmenden der Diskussionsrunde waren sich schnell einig: Die eine große Lösung, die das Problem schnell beseitigt, kann es nicht geben. Es sei unrealistisch, die gesamte Medikamentenproduktion zurück nach Europa zu verlagern, Abrechnungs- und Preismodelle müssten angepasst werden und weniger allein auf die Reduzierung von Kosten fixiert sein. Es müsse eben an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden – und das mit gemeinsamer Anstrengung. Dr. Dirk Janssen, Vorstand des BKK-Landesverbands NORDWEST, brachte ein Frühwarnsystem ins Gespräch, das gesundheitliche Problemlagen und den damit verbundenen erhöhten Bedarf an Medikamenten früh erkennt. „In ein solches System“, so Dr. Janssen, „müssen sowohl Verordnungsdaten als auch Daten zur Entwicklung von Krankheiten einfließen“. Derzeit lägen diese Daten noch viel zu spät vor, um sie nutzen zu können. 

„Es geht um Daseinsvorsorge, nicht um Luxus“
Auch die Option einer Medikamentenreserve, zumindest für die „kritischen“ Wirkstoffe, wurde diskutiert „Es geht dabei um Daseinsvorsorge, nicht um Luxus“, so Apotheker Thomas Preis, „und das ist Aufgabe des Staats.“ Müsse der Staat nicht entsprechende Medikamentenmengen aufkaufen, um drohende Lieferengpässe für 90 bis 120 Tage zu überbrücken, fragte Prof. Grönemeyer die Experten. Für BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Cranz ist das allerdings nur die zweitbeste Lösung. „Denn wenn die Voraussetzungen stimmen, regelt das der Markt. Allerdings muss man Arzneimittel-Herstellern auch die Möglichkeiten geben, ihrer Arbeit auskömmlich nachzugehen.“

„Prävention ist der Game Changer in der Medizin“
Abseits von politischen Regelungen und wirtschaftlichen Zwängen hat Prof. Dietrich Grönemeyer auf die Möglichkeiten hingewiesen, die Menschen selbst für sich nutzen können: „Ich bin der festen Überzeugung: Prävention ist der Game Changer in der Medizin. Auch in diesem Fall“, sagt er. Die gesundheitlichen Kompetenzen und die Eigenverantwortung jedes und jeder Einzelnen zu stärken, sei wichtig – genauso wie die verantwortungsvolle Nutzung von Antibiotika. Bevor Antibiotika eingenommen werden, sollte immer genau geprüft werden, ob sie tatsächlich notwendig sind. Außerdem sollte die Behandlung mit Antibiotika so kurz wie möglich gehalten werden.

„Wir müssen die medizinische Aufklärungsarbeit für Familien stärken, da müssen wir uns noch mehr anstrengen“, forderte Prof. Gaby Flösser vom Kinderschutzbund. Sie wünsche sich, dass „eine Generation heranwächst, die mit sich selbst kompetent umgehen kann, in der Gesundheit, im Denken, im Fühlen.“ Für sie ist außerdem ein Wandel im medizinischen System notwendig: „Neben einer kurativen Medizin wünsche ich mir ein System, das auf das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen ausgelegt ist.“

 Die wichtigsten Thesen zum Medikamentenmangel im Überblick:

  • Zehn Jahre ist das Problem bekannt, nichts ist passiert.
  • Ein Ende der Lieferengpässe für Arzneimittel ist nicht abzusehen.
  • Auf staatliche Unterstützung zu warten, hilft nicht bei der Problemlösung.
  • Fehlende Daten und Digitalisierung erschweren den Aufbau eines Frühwarnsystems bei drohenden Lieferengpässen.
  • Wie schon während der Corona-Pandemie trifft jetzt der Arzneimangel Kinder und Jugendliche erneut wieder besonders stark.
  • Pharmaindustrie, Krankenkassen, Apotheken und Ärztinnen und Ärzte sollten gemeinsam mit der Politik Lösungen erarbeiten.
  • Entschlossenes Handeln ist gefordert.

Weitere Infos

Das Gespräch in voller Länge gibt es unter www.youtube.de/antibiotika-mangel

Hier finden Sie ein kurzes Statement zum Medikamentenmangel vom Kinderschutzbund (Landesvorsitzende Prof. Dr. Gaby Flösser) und dem BKK-Landesverband NORDWEST (Pressesprecherin Karin Hendrysiak).