Tod, Trauer und Hetze im Netz

Wie Eltern mit ihren Kindern über den Tod von Luise aus Freudenberg sprechen können
23. März 2023, Nicole Vergin

Der Tod der zwölfjährigen Luise in Freudenberg ist in diesen Tagen immer noch ein wichtiges Thema – sowohl in den klassischen Medien, den sozialen Netzwerken als auch in vielen Familien. Mütter und Väter sind gefordert, die Kinder in einer schockierenden, Grauen und Angst auslösenden Situation zu begleiten. Aber wie? Isabel Ruland aus Bonn ist Pädagogin, Kriminologin und Autorin. Sie sagt: „Kinder und Jugendliche brauchen Antworten, die ihren altersgemäß unterschiedlichen Gefühlen gerecht werden.“ Auf MENSCHENSKINDER-NRW.de erläutert Isabel Ruland, was Eltern tun können, um die Sorgen ihrer Kinder aufzufangen.

 

Was ist aus Ihrer Sicht wichtig, wenn ich als Mutter oder Vater mit meinem Kind über die Tat und die Reaktionen darauf spreche?

Isabel Ruland: Fragen Sie: Wie geht es dir? Was hast du gesehen, gehört? Was löst das in dir aus? Knüpfen Sie an das an, was Ihr Kind schon gehört hat. Vermeiden Sie (vor allem je jünger die Kinder sind) Tatdetails, sondern schlagen Sie einen groben Zusammenhangsbogen, der die Situation verstehbar macht. Hören Sie gut zu. Spiegeln Sie die wahrgenommenen Gefühle und versichern Sie, dass auch Sie beunruhigt und erschreckt sind. Beantworten Sie Fragen offen nach bestem Wissen. Suchen Sie sich selbst seriöse Quellen wie die großen Leitmedien, in denen aktuell viele Fachleute interviewt werden.

Sprechen Sie (vor allem mit älteren Kindern/Jugendlichen, die sich in den sozialen Medien bewegen) darüber, was sonst noch so durch die Medien läuft, Plattformen wie TikTok, Instagram etc. sind einfache und schnell bediente Medien für Desinformation und Hass. Lassen Sie Ihr Kind nicht allein damit. Schauen Sie gemeinsam und besprechen Sie, was sie gesehen haben. Ordnen Sie ein.

 

Was ist, wenn mein Kind über das Thema nicht sprechen möchte?

Denken Sie daran, dass jüngere Kinder das Thema Tod und Tod durch eine schlimme Tat noch nicht in seiner ganzen Tragweite verstehen können. Vielleicht wundern Sie sich, wenn ihr junges Kind gar nicht nennenswert reagiert. Das ist altersgemäß. Sie dürfen es nicht mit ihrer erwachsenen Wahrnehmung und Einordnung verwechseln. Lassen Sie es in diesem Fall gut sein, bleiben Sie aber wachsam und stehen Sie auch weiterhin für Fragen zur Verfügung.

 

Was wäre eine gute Reaktion, wenn Kinder Angst haben?

Mit Ängsten und Verunsicherungen kann man einen guten Umgang finden. „Kann uns das auch passieren?“ Ja, das könnte uns theoretisch auch passieren, aber so ein Fall ist sehr, sehr, sehr selten und es ist nicht zu erwarten, dass so etwas gleich wieder passiert. Die Fachleute sagen, dass sie so einen Fall in den letzten 40 Jahren noch nicht gesehen haben. Das ist eine lange Zeit.

„Ich kann nicht allein schlafen.“ (Das kann auch Jugendliche betreffen). Machen Sie Platz im Elternbett oder schlafen Sie ein paar Tage mit im Zimmer des Kindes. Es braucht diese Sicherheit jetzt.

„Ich traue mich nicht alleine zu meiner Freundin.“ Oder: Sie als Eltern haben für den Moment Angst, Ihr Kind alleine unterwegs zu wissen. Bringen Sie Ihr Kind – zur Schule, zum Verein, zur Freundin. Geben Sie dem Kind (und sich) die Sicherheit, die gerade gebraucht wird. Lockern Sie nach wenigen Tagen diese engere Kontrolle wieder – um Selbstvertrauen und Vertrauen wieder Raum zu geben. Nehmen Sie das gewohnte Leben wieder auf, bleiben Sie aber offen, wenn Bedarf besteht.

Sprechen Sie über Mobbing und Prävention – vereinbaren Sie, wie Sie damit umgehen wollen, wenn in Ihrem Umfeld so etwas auftritt. Kennen Sie und ihr Kind die einschlägigen Ansprechpartner in Schule und sozialem Umfeld?

 

Wie kann ich als Mutter oder Vater gut darauf reagieren, wie der Fall in den sozialen Medien behandelt wird?

In den sozialen Medien ist eine Hexenjagd ungeahnten Ausmaßes ausgebrochen. Dabei werden Desinformationen und Lügen verbreitet, aber auch Straftaten begangen, etwa, wenn die Gesichter des getöteten Mädchens oder der Täterinnen verbreitet werden, zu Rache und Selbstjustiz aufgerufen wird, Hass und beleidigende Hetze geäußert wird etc. Besprechen Sie, dass diese Dinge falsch sind und bestraft werden können. Sprechen Sie darüber, woher Rachegedanken und Wut kommen und wie man damit umgehen kann. Erklären Sie, warum der Rechtsstaat so ist wie er ist und wie wertvoll er ist, auch wenn man im ersten Moment nicht versteht, dass hier beispielsweise die Mädchen nicht „bestraft“ werden können (in unserem vorgestellten Strafsinn: Gefängnis etc.). Hüten Sie sich selbst vor Verurteilungen und dem Ruf nach harter Strafe. Sprechen Sie mit Ihren Kindern leise und empathisch, nicht rachgierig und unbedacht. Denken Sie aus allen Perspektiven heraus. Vermitteln Sie, dass solche schrecklichen Fälle auf allen Seiten nur Verlierer haben. 

Isabel Ruland hat dem Kinderschutzbund einen längeren Text zum Thema zur Verfügung gestellt. Den lesen Sie hier. Vielen Dank dafür!