Foto: iStockphoto, IPGGutenbergUKLtd
Foto: iStockphoto, IPGGutenbergUKLtd
 
Aufwachsen

Schmusen für die Seele

Der zärtliche und frühe Körperkontakt ist wichtig für die Entwicklung der Persönlichkeit.
9. Juli 2019, red.

Der zärtliche und vor allem frühe Körperkontakt mit anderen Menschen ist wichtig für die Entwicklung der Persönlichkeit. „Schmusen entspannt uns, gibt uns Sicherheit“, sagt Diplom-Sozialpädagogin Katrin Fassin vom Kreisverband Rheinisch-Bergischer Kreis des Deutschen Kinderschutzbundes. Die positive Wirkung von Streicheleinheiten kann bereits bei Kleinstkindern festgestellt werden.

“Der Impuls zum Schmusen muss vom Kind kommen.“

Anhand des Wickelns macht Katrin Fassin auch deutlich, dass der Impuls zum Schmusen von den Kindern kommen muss. Kuscheln sollte nicht erzwungen werden. Lehnt der Säugling das Streicheln während des Wickelns ab, dreht er sich weg und schreit, sollte darauf verzichtet und das Windelwechseln schnell über die Bühne gebracht werden. „Kinder sind kleine Egozentriker“, sagt Fassin. „Wenn sie das Bedürfnis nach Nähe haben, kommen sie zu einem. Wenn sie genug haben, gehen sie wieder.“ Die Kinder bestimmen den Rhythmus. Der Körperkontakt darf ihnen nicht aufgezwungen werden.

„Das Kind, das sich wegdreht, wenn die Oma es küssen will, kann bereits zehn Minuten später schon wieder ankommen und ein Küsschen haben wollen“, sagt die Sozialpädagogin. Im Grundschulalter distanzieren sich Kinder von ihren Eltern, wollen nicht mehr in den Arm genommen, an der Hand gehalten oder geküsst werden – zumindest in der Öffentlichkeit nicht. Und irgendwann heißt es dann: Für den Gutenachtkuss bin ich jetzt zu alt, Mama. „Der nächste Kuss kommt dann vielleicht vom ersten Freund oder der ersten Freundin“, sagt Fassin.

„Übervorsicht durch Debatte um sexualisierte Gewalt eingetreten.“

Katrin Fassin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der kindlichen Sexualerziehung. Sie beobachtet, dass in der Debatte um sexualisierte Gewalt eine Übervorsicht eingetreten ist. So verschwinden aus manchen Einrichtungen die Kuschelecken und männliche Erzieher wollen Kinder nicht mehr wickeln. Diese Entwicklung bereitet der Sozialpädagogin Sorgen. Die Verunsicherung der Erzieherinnen und Erzieher überträgt sich auf die Kinder. Auch begleitete Toilettengänge sind häufig üblich – unter anderem, um Übergriffigkeiten bei den Kindern untereinander zu verhindern. Das bedeutet auch, dass Mädchen und Jungen keinerlei wichtige Rückzugsorte mehr haben. „In einer Kuschelecke sitzen Kinder nah beieinander, gucken in ein Buch, erzählen sich Geschichten, nehmen sich in den Arm“, beschreibt Katrin Fassin die kindlichen Intimitäten. Sollte es zu Übergriffigkeiten kommen, müssen die Pädagogen natürlich handeln und mit den Beteiligten sprechen.

Wie nahe darf ich einem Kind sein? Das ist eine zentrale Frage im Leben von Erziehern. Auch hier muss der Impuls vom Kind kommen. Katrin Fassin: „Wenn es in den Arm genommen werden will, dann sollten Erzieher das auch tun.“ Wobei der verantwortliche Umgang mit Nähe und Distanz immer bei dem Erwachsenen liegt. Dieser gibt dem Kind Orientierung im Erlernen eines gesunden Umgangs mit dem Wunsch nach Nähe.