„Rassismus? Gibt es bei uns nicht“, behaupten manche Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern. Dennoch hat Alltagsrassismus seinen Platz in der Schule genauso wie in der Familie, am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben.
„Ich wurde in der Schule früh gemobbt. Was davon bis heute geblieben ist: Dass ich in der Grundschule als ´dreckig´ beschimpft wurde und mir auch deutlich gemacht wurde, dass mit mir was nicht stimmt. Und dann saß ich zuhause in der Badewanne, hab geweint aus Wut und versucht, mir mit einer Schuhbürste die ´dreckige Haut´ runterzuschrubben.“ (Bonn, Mama Schwarz aus Mauritius, Vater weiß aus Deutschland)
Viele Schwarze Menschen haben ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus aufgeschrieben. Nachzulesen sind sie im Instagram-Account #WasIhrNichtSeht. Zahlreiche dieser Erlebnisse sind in der Kindheit und Jugend angesiedelt.
Was Abenteuergeschichten und Schulbücher mit Rassismus zu tun haben
„Hallo! Mein Name ist Michelle. Ich bin zehn Jahre alt und gehe in die vierte Klasse einer Grundschule. Ich erlebe Rassismus. Jeden Tag. Leider wird mir das nicht immer geglaubt oder man vermittelt mir das Gefühl, ich hätte was falsch verstanden …“, schreibt Michelle in „Kinderschutz aktuell“, der Verbandszeitschrift des Kinderschutzbundes.*1
Michelle fühlt sich fremd in ihrem Heimatland – schon seit der Kita-Zeit. „Die Puppen, mit denen wir spielen konnten, waren alle weiß und hatten braunes oder blondes Haar. Im Spiel konnte ich mir nicht vorstellen, dass auch ich mal für ein Kind sorgen kann, das mir ähnelt. Bei den Büchern war das nicht anders: Die Figuren in den Geschichten sehen selten aus wie ich. Ich spiele eine Nebenrolle. Offensichtlich erleben Kinder wie ich nie Abenteuer oder helfen anderen. In meiner Klasse sind gerade Pferdegeschichten angesagt. Auf dem Schulhof werden sie nachgespielt. Da übernehme ich keine Rolle, weil die Kinder im Sattel alle weiß sind. Ich lese lieber andere Geschichten. Schwarzen Menschen und People of Color werden negative Eigenschaften zugeschrieben. Mein Aussehen und mein Familienname stecken mich in eine Schublade. Mir werden Eigenschaften angedichtet, die nichts mit mir zu tun haben. Ich werde mit Beschimpfungen fertigwerden müssen wie dem N-Wort oder Affenlauten.“
„Ich bin nicht rassistisch!“
Die meisten weißen Menschen reagieren abwehrend, wenn sie auf Alltagsrassismus angesprochen werden, berichtet Tupoka Ogette, Expertin für Vielfalt und Antidiskriminierung, in ihrem Bestseller „exit RACISM“. Sie glaube daran, dass die meisten Menschen nach den Werten Gerechtigkeit und Fairness leben wollen. „Ich weiß aber auch, dass viele Menschen Rassismus jeden Tag reproduzieren. Sowohl bewusst als auch unbewusst“, schreibt Tupoka Ogette. „Dass Schwarze Menschen und People of Color in Deutschland jeden Tag Rassismuserfahrungen machen. In Kitas, in Schulen, in ihren Familien, auf der Arbeit, auf dem Weg zum Supermarkt. Und dass dieser Rassismus oft in Kontexten passiert, in denen sich die Menschen für tolerant, fair und vor allem für ´antirassistisch´ halten.“*2
Menschen für Alltagsrassismus sensibilisieren
„Alltagsrassismus beginnt schon bei der Sprache“, sagt Martina Meier, die als Deeskalationstrainerin, Interventionsfachkraft und Multiplikatorin gegen Mobbing im Ruhrgebiet arbeitet. „Ich ärgere mich schwarz“ oder „Da sehe ich schwarz“: Mit solchen Formulierungen, die Schwarzsein als etwas Negatives bezeichnen, werden Kinder und Jugendliche groß. Gleiches gilt für „Schwarzfahren“ oder „Schwarzarbeit“ – Ausdrücke, die ebenfalls etwas Schlechtes bezeichnen. Ihr sei es wichtig, die Menschen dafür zu sensibilisieren. Denn: „Rassismus ist ein strukturelles Problem“, betont Martina Meier.
Der erste, wenn auch schwierige Schritt für Eltern und Kinder sei es, ihre Erfahrungen mit Rassismus offen anzusprechen. „Am besten ist dabei eine Ich-Botschaft, bei der die eigenen Gefühle im Mittelpunkt stehen“, so die Trainerin. Viele Menschen reagieren ihrer Erfahrung nach abwehrend oder beleidigt, wenn sie auf rassistische Bemerkungen oder Verhaltensweisen hingewiesen werden. „Dennoch ist es wichtig, die eigenen Wahrnehmungen auszusprechen und so eine Auseinandersetzung mit dem Thema in Gang zu setzen.“
Diskriminierung in der Schule behandeln
Rainer Latuske arbeitet als Schulsozialarbeiter des Kinderschutzbundes in Dinslaken. „An unserer Schule lernen Kinder und Jugendliche aller Nationalitäten“, erzählt er. „Meinen Kolleginnen, Kollegen und mir ist es wichtig, Rassismus und Diskriminierung allgemein schon früh zum Thema zu machen“, sagt Rainer Latuske. Die Schulsoziarbeit organisiert in den fünften Klassen regelmäßig Projekte gegen Ausgrenzung – mit Gesprächsrunden und Rollenspielen. „Dadurch erfahren die Schülerinnen und Schüler, wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu sein, und welchen Anteil diejenigen haben, die zuschauen und sich nicht einmischen“, so der Schulsozialarbeiter.
*1 Stephan Knorre u.a.: „Und Du bist raus“, in: Kinderschutz aktuell, 4.2020, S. 14f
*2 Tupoka Ogette: exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen. Münster, 2020, S. 16.
Zum Weiterlesen:
- Antidiskriminierungsstelle des Bundes
- Praxisbuch Diskriminierungskritische Schule
- Tupoka Ogette: exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen. Münster, 2020.
- Salon der Kinderrechte: „Kindheit ohne Rassismus“, 18. März 2021